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Bruttosozialglück und Bildung

Aktive Dörfer: Bruttosozialglück und Bildung

Es zählt der Mensch! - Bruttosozialglück Glück, ja Glück zählt! Sie finden viel Literatur und Hinweise für das Glück des Individuums, aber das
Glück im öffentlichen Raum wird kaum thematisiert. Wir hören Wirtschaftswachstum, Bruttoinlandsprodukt (BIP), Infrastruktur, System, aber Wohlergehen, Fröhlichkeit, Zufriedenheit, gute Beziehungen. Diese Faktoren werden nicht als Ziele einer Nation genannt.


Ein kleines Land, Bhutan in Südasien, hat dagegen das Glück in den Mittelpunkt gestellt. Schon 1980 hatte der dritte König von Bhutan gesagt, dass das Bruttonationalglück wichtiger als das Bruttoinlandsprodukt ist. Er hatte erkannt, dass Wirtschaftswachstum kein Selbstzweck ist, sondern ein Nebenprodukt guter sozioökonomischer Entwicklung. Zentrales Erfolgskriterium ist hier nicht das
Wirtschaftswachstum, sondern die Frage, ob die Bürger ein Leben führen können, das fröhlich, zufrieden, körperlich und seelisch gesund ist, ob die Kinder und die Alten richtig versorgt sind, das vonToleranz, Respekt, Nachsicht und Geduld geprägt ist.


Bruttosozialglück und aktive Dörfer - Was fördert das Bruttosozialglück?
Begegnung, Austausch und ein allgemeines Vertrauen in das Gute sind zentral. Nur durch Begegnung und vertrauensvollen Austausch können die Bürger ihre individuell erworbenen Fähigkeiten, Kenntnisse, Begabungen und Vorstellungen mit denen anderer Menschen zusammenbringen und kreative Lösungen entwickeln. Mitbestimmung, Mitwirkung und Demokratie machen glücklich. Wenn Menschen erfahren, dass sie wichtig sind, ihr Beitrag auch für andere zählt, werden sie zufrieden. Wichtig sind auch informelle Gemeinschaften, in denen sich Menschen freiwillig engagieren. So hat ein Brieftaubenverein eine immens politische Wirkung, auch wenn dort überhaupt nicht über Politik geredet wird. Hier kann jeder unmittelbar erfahren, wie sein Beitrag zählt, damit die Gemeinschaft funktioniert. Und damit stärkt er den Zusammenhalt in der Gesellschaft. Das soziale Miteinander prägt das Bewusstsein. Die Neurobiologen weisen mithilfe bildgebender Verfahren sogar nach, dass die Struktur einer Gemeinschaft und des Gehirns sich entsprechen. Joachim Bauer weist auf die Bedeutung der Spiegelneuronen hin. Hier findet Lernen statt, dazu aber später mehr. Ein Dorf wird glücklich, wenn Menschen hier wohnen, für die Politik mehr als nur Zuschauersport ist.

Das Glück des einzelnen und der Gemeinschaft
Die Erfahrung von Selbstwirksamkeit, von Selbstbestimmung und dem Nutzen, den jeder für die Gemeinschaft stiftet, ist in ländlichen Räumen einfacher zu machen als in Ballungsgebieten. Das Leben hier ist nicht so anonym wie in Großstädten. Man kennt sich, grüßt sich und spricht miteinander. Und man weiß, dass man sich immer wieder begegnet. Und da jeder weiß, dass nichts los ist, außer dass einzelne sich drum kümmern, ist auch jeder bereit aktiv zu sein, Bierbänke aufzubauen, Kaffee zu kochen, Veranstaltungen organisieren u.v.a.m. Wenn der einzelne erlebt, dass jeder in der Gemeinschaft durchaus seine eigenen Interessen vertreten kann und genügend Freiraum für Selbstbestimmung hat, dann verringert sich der Stress des Zusammenlebens. Selbstbewusstsein und Selbstbestimmung fördern gute Kommunikation. Doch wer Freiheit genießt, muss auch Verantwortung übernehmen. So profitiert nicht nur jeder Einzelne von den Vorzügen einer glücklichen Gesellschaft, sondern hat auch die Aufgabe, für ihr Funktionieren zu sorgen. Vielleicht denken Sie jetzt, das ist ja alles schön und gut, aber doch etwas naiv. Die Wirklichkeit ist doch ganz anders, all diese Zwänge, die Komplexität des Systems, die Knappheit der Finanzen und die vorherrschende Macht der Wirtschaft. Aber sind die „Gesellschaft“, das Dorf, der Staat nicht wir alle? Jeder einzelne, wir alle prägen doch mit unseren Aktivitäten, unseren unterlassenen Aktivitäten, unseren inneren Glaubenssätzen und Interessen Stimmung und Gemeinwesen. Für mich fängt hier Engagement und damit Politik an. Was eigentlich jeder schon wusste und was die Neurobiologen in den letzten Jahren wunderbar auch auf der somatischen Ebene nachgewiesen haben, ist, dass Angst,  Bedeutungslosigkeit, Einsamkeit hirntechnisch nicht lange auszuhalten sind. „The brain runs on fun“. Deswegen ist es so wichtig, dass
wir eine kritische Masse an glücklichen Menschen in den Dörfern haben. Sie bewegen etwas, sie bringen Dinge voran, sie haben Spaß am Gründen von Unternehmen und dem Ausgestalten von Arbeits- und Handelsbeziehungen. Ein trauriger Gastwirt hat keinen Umsatz. Deswegen sind auch die zunehmenden psychischen Störungen und die Volksseuche des 21. Jahrhunderts, die Depression so gefährlich für das Gemeinwesen. Nicht behandelte Depressionen bedeuten Rückzug und Passivität. Depressive sind so auf ihr inneres Leid fokussiert, dass sie gar nicht in Kontakt treten und kreative Lösungen entwickeln können. Langfristig wird das Auswirkungen auch auf unser Bruttosozialprodukt haben. Und deswegen ist es auch so wichtig für die Zukunft, über das Glück in der Gesellschaft nachzudenken. Damit bewegen wir etwas!

„Aktive“ – glückliche Dörfer
In aktiven Dörfern identifizieren sich die Bürger mit ihrem Wohn- und Lebensort, sie fühlen sich dafür verantwortlich und engagieren sich aktiv für die Belange vor Ort. Sie sind Mitglied in verschiedenen Vereinen – das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung hat in empirischen Studien nachgewiesen, dass die Vereinsdichte, die immer Ausdruck einer aktiven Bürgerschaft ist, zur Stabilität von Dörfern wesentlich beiträgt. Aktive Bürgerschaft bedeutet immer auch, dass die Kommunikation klappt und von gegenseitiger Wertschätzung getragen ist, Interessengegensätze und Konflikte konstruktiv unter Berücksichtigung aller Interessen gelöst werden und man sich in der Nachbarschaft gegenseitig hilft und unterstützt. Sowohl das individuelle Glück als auch das Glück der gesamten Gesellschaft kann man lernen! Bildung ist ein wesentlicher Schlüssel dazu.


Bildung und Bruttosozialglück
Um den Beitrag der Bildung zum Bruttosozialglück zu verdeutlichen, mache ich zunächst einen kleinen Ausflug in den Konstruktivismus. Aber keine Angst, es wird nicht zu theoretisch. Zunächst erzähle ich Ihnen eine Geschichte von Paul Watzlawick, die Geschichte von dem Mann mit dem Hammer, die Sie wahrscheinlich kennen und aus der man so manches ableiten kann. Ein Mann will ein Bild aufhängen. Den Nagel hat er, nicht aber den Hammer. Der Nachbar hat einen. Also beschließt unser Mann, hinüberzugehen und ihn auszuborgen. Doch da kommt ihm ein Zweifel: Was, wenn der Nachbar mir den Hammer nicht leihen will? Gestern schon grüßte er mich nur so flüchtig. Vielleicht war er in Eile. Aber vielleicht war die Eile nur vorgeschützt, und er hat etwas gegen mich. Und was? Ich habe ihm nichts angetan; der bildet
sich da etwas ein. Wenn jemand von mir ein Werkzeug borgen wollte, ich gäbe es ihm sofort. Und warum er nicht? Wie kann man einem Mitmenschen einen so einfachen Gefallen abschlagen? Leute wie dieser Kerl vergiften einem das Leben. Und dann bildet er sich noch ein, ich sei auf ihn angewiesen. Bloß weil er einen Hammer hat. Jetzt reicht’s mir wirklich. – Und so stürmt er hinüber, läutet, der Nachbar öffnet, doch noch bevor er „Guten Tag“ sagen kann, schreit ihn unser Mann an „Behalten Sie sich Ihren Hammer, Sie Rüpel!“ Unser Mann lebt ganz in seiner Innenwelt, seinen Phantasien. Dieses innere Bild steuert seine soziale Interaktion. Wer kennt das nicht von sich selbst – es gibt Tage, an denen sind wir schlecht drauf und wir meinen alle Menschen sind unfreundlich, wollen nur Übles, hauen uns übers Ohr und wir bekommen die Arbeit nicht getan. Am nächsten Tag, wenn wir gut geschlafen haben oder sonst ein gutes Erlebnis hatten, flutscht alles nur so, wir sind zufrieden, fröhlich und die Arbeit geht uns gut von der Hand. Meist merken wir gar nicht, welch großen Einfluss wir selber bei allem haben.


Bildung heißt, sich die Macht innerer Bilder bewusst machen, zu merken, wie wir sie auf die Außenwelt
projizieren und dann meinen, dass das die „Wirklichkeit“ sei. Wir lernen auf diese Weise verschiedene
Modelle von Wahrnehmung kennen, verschiedene Reaktionsmöglichkeiten und erweitern so unser
Handlungsspektrum. Dies geschieht in ganz unterschiedlichen Kontexten, im Kindergarten, in der Schule, im Verein oder dem Gemeinderat. Beziehung und Beziehungsgestaltung ist immer die Lernvoraussetzung. Das Erleben von Gemeinsamkeit und gemeinsamer Aktivität ist dafür sehr förderlich. Indem wir uns mit Kunst, Kultur, Musik oder Literatur beschäftigen, eignen wir uns weitere Welt-Modelle an,  schließlich nehmen wir ja mit allen Sinnen und auf verschiedenen Ebenen die „Wirklichkeit“ um uns herum wahr und tragen damit wiederum zu ihrer Ausgestaltung bei, sei es durch Sprache, durch Farben, durch Bilder, durch Töne – das Spektrum dafür ist weit. Zu nennen ist hier durchaus auch die Beschäftigung mit Religion. Dies wird heute meist schamhaft verschwiegen. Religionshistorisch ist sehr deutlich zu erkennen, welche prägende Kraft die Konzepte des Schöpfungsmythos hatten und auch heute noch haben, wenn auch in abgeschwächter Form. Die Bibel ist voll von Modellen der Beziehungsgestaltung, Modellen, wie man Hoch- und Tiefzeiten bewältigt. Es ist jetzt nicht die Zeit und der Ort, dieses Thema zu vertiefen, aber spannend wäre es schon. Neurobiologen erklären dies so:

  1. Erfahrungen und Erlebnisse erzeugen charakteristische synaptische Verschaltungsmuster im Gehirn, genannt innere Bilder
  2. diese inneren Bilder sind wiederum handlungsleitend bei der Bewältigung des individuellen und kollektiven Lebens - denken Sie an unseren Mann mit dem Hammer
  3.  durch Austausch und Weitergabe dieser inneren Bilder entsteht ein kulturell tradierter Schatz kollektiver innerer Bilder, das sind gemeinschaftlich geteilte Überzeugungen und Glaubenssätze zur Bewältigung innerer und äußerer Probleme.
  4.  Sobald sich die äußeren oder inneren Verhältnisse jedoch verändern, so verändern sich auch die synaptischen Verschaltungen im Gehirn, es entstehen neue innere Bilder. Lernen beeinflusst die synaptischen Verschaltungen im Gehirn. Bildung trägt dazu bei, dass langfristige, gemeinsame Orientierungen weitergegeben und weiterentwickelt werden. Geschieht dies nicht, so hat dies tief greifende Störungen des inneren Beziehungsgefüges der Gesellschaft zur Folge, die sich auf alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens auswirken. In aktiven Dörfern gelingt es den Bürgern, sich auf gemeinsame Leitbilder, gemeinsame Werte und Ziele zu verständigen und diese umzusetzen. Bildung aktiviert und Aktivität macht glücklich.


Bildung für aktive Dörfer – eine Zusammenfassung

  •  Bildung für aktive Dörfer bedeutet vor allem die Beziehungsfähigkeit zu fördern. In den meisten Planungen wird in Sachwerte investiert, seien es Straßen, Gebäude, Einkaufszentren auf der Grünen Wiese oder Gewerbegebiete. Dabei ist es mindestens so wichtig oder angesichts unseres allgemeinen Wohlstands und des Zustands unserer Gesellschaft m.E. sogar noch wichtiger in die Beziehungsfähigkeit zu investieren. Wir müssen noch viel mehr lernen auch bei unterschiedlichen Interessenlagen und Neigungen miteinander zu reden und zu einem Konsens zu kommen. Es geht um stärkende und stark machende Erfahrungen. Es geht um die Förderung von Selbstbewusstsein, das Bewusstsein seiner selbst. Das ist eine wesentliche Voraussetzung, um Konflikte konstruktiv zu lösen, so dass alle Partner zufrieden sind  und einen Nutzen davon haben. Respekt und gegenseitige Wertschätzung müssen wir pflegen und uns immer wieder daran erinnern, wie wichtig sie ist, gerade auch bei gemeinsamen Planungs- und Handlungsprozessen.
  •  Bildung für aktive Dörfer bedeutet auch, die früher nützlichen Glaubenssätze und Handlungsanleitungen in die Museumsvitrine zu stellen und neue Modelle zu entwickeln, die zum Heute passen. Ohne die Vergangenheit abzuwerten oder zu idealisieren, gilt es sich auf das Heute einzustellen, die Veränderung im Gleichen wahrzunehmen und daraus Handlungskonzepte zu entwickeln.
  •  Die historischen Sozialgefüge funktionieren so nicht mehr, deswegen hat Bildung auch die Aufgabe, die Menschen im Übergang zu neuen Formen des Zusammenlebens und Wirtschaftens zu begleiten und sie bei der Ausformung neuer Sozialbezüge zu unterstützen. • Bildung für aktive Dörfer bedeutet, das zunächst Fremde oder „die“ Fremden so vorzustellen, dass die Angst davor überwunden werden kann, ja dass Verschiedenartigkeit als Entwicklungschance erkannt wird.
  •  Nicht zuletzt heißt Bildung für aktive Dörfer auch, Verständigungsprozesse auf Augenhöhe zu moderieren und damit Vertrauen  aufzubauen

Bei einer solchen Bildung finden die Menschen ihren Platz und ihre Bedeutung in der Gesellschaft, und
erkennen einen Sinn im Leben.